Was ist Selbstliebe oder besser: Selbstmitgefühl, Selbstannahme, Selbstfreundschaft und Selbstfürsorge?

wohlwollend annehmen, wie ich gerade bin
Bild ©Barbara Weinzierl, München
Selbstliebe ist – zusammen mit Selbstbewusstsein, dem wachen Bewusst sein über mich als empfindendes, fühlendes, denkendes Wesen – der fundamentalste Bestandteil unseres Selbstwertgefühls. Doch was genau verstehen wir unter Selbstliebe? Dies finde ich wichtig zu klären, denn nicht wenige verwechseln Selbstliebe mit Selbstverliebtheit, Narzissmus, Egozentrik, Egoismus, Gottlosigkeit, Ich-Sucht oder Selbstsucht.
Selbstliebe ist…
…in allererster Linie: Ein sich ständig in Bewegung und Entwicklung befindlicher Prozess des schrittweise sich selbst wohlwollend Annehmens und Akzeptierens wie ich jetzt eben bin. Gerade auch mit meinen Empfindlichkeiten, Schwachstellen und Handicaps! Und dies in möglichst ehrlichem, wachem, geduldigem Wohlwollen und mitfühlender Selbstfürsorge, auch wenn es manchmal schwer fällt. Selbstliebe ist also nie ein fixer Idealzustand, sondern immer „practice and work in process“!
Sich selbst lieben meint auch…
- Selbstliebe meint Selbstmitgefühl, Selbstannahme, Selbstakzeptanz, Selbstfürsorge: Mir ein wohlwollender Freund sein!…eine stetige Annäherung an „So wie ich bin, mit meinen Ecken, Kanten und Verletzungen, bin ich im Großen und Ganzen ok.“ Wer das ehrlich von sich sagen kann, ist auf bestem Wege zu innerer Zufriedenheit.
- …Selbstakzeptanz / Selbstannahme / Selbstachtung und damit realitätsbezogene Wertschätzung meiner Selbst als Basis meines Mensch seins: Ich bin liebenswert und bejahe mich!
- …Selbstfürsorge: Auf sich selbst achten und die eigenen Bedürfnisse, Werte und Grenzen erkennen und respektieren!
- …Selbstmitgefühl: Eine mütterliche, wohlwollende, gütige, mitfühlende, fürsorgliche, bergende und schützende Haltung mir selbst gegenüber einnehmen.
- …Selbstfreundschaft: Mit sich selbst Freundschaft und Frieden schließen und sich weigern, sich selbst als Feind gegenüberzustehen = Den Kampf gegen sich selbst aufgeben und erstmal akzeptieren, was ist!
- …gesunder, zur Selbstreflexion fähiger, mitfühlender, achtsamer und demütiger „Egoismus“.
- Vertraue keiner Stimme in deinem Geist, die unfreundlich mit dir spricht, nörgelt, dich kritisiert oder abwertet!…den Körper als das weltliche „Fahrzeug“ meines Geistes auf natürliche Art und Weise pflegen und gesund erhalten → Stichwort angemessene Ernährung und Körperpflege, ausreichend Licht, Luft und Bewegung für natürliche Kraft und Flexibilität sowie Schulung der sensorischen und motorischen Fähigkeiten, z.B. durch Laufen und Dehnen, Tanzen, Jonglieren, Klettern, Kampfsport, Feldenkrais, Alexander-Technik, Hatha-Yoga, Qigong oder Tai Chi Chuan usw.
- …den Geist „in die Hand“ zu nehmen und ihn in einer aufmerksamen, wachen, neugierigen, offenen, wohlwollenden, bereitwilligen wie beharrlichen Art und Weise auf einen selbstförderlichen Weg zu führen → Stichwort Kultivierung von erkennender Achtsamkeit, Mitgefühl und Vergebung, Schulung des „freundschaftlichen inneren Beobachters“ als Gegenpol zum „inneren Kritiker / Zensor / Verurteiler / Abwerter“, z.B. durch Achtsamkeitstraining / Achtsamkeitsmeditation, Kontemplation / Meditation oder spirituelle Geistesschulung, etwa mit „Ein Kurs in Wundern“ o.ä.
Wertschätze und akzeptiere Dich selbst in einer Art und Weise, wie Du von anderen Menschen wertgeschätzt und angenommen werden möchtest!
Selbstliebe ist weder…
- Die Gier nach positiver Wertschätzung: Eine narzisstische Störung weist auf einen Mangel an echter Selbstliebe hin!…die Unterschätzung, „Kleinmachung“ oder Abwertung von mir, z.B. in Form perfektionistischer Pflichterfüllung, übermäßige Anpassung an andere, Opfermentalität, zerfließendem Selbstmitleid
- …noch die Überschätzung oder Überhöhung meines Selbst in Form von Selbstsucht / Ich-Sucht, hochmütiger Selbstgefälligkeit, Selbstverliebtheit, „Social-Media-Schaut-alle-her-Selbstbespiegelung“, Egozentrik oder gar Narzissmus und Grandiosität
Wahrhafte, ehrliche Selbstliebe unterstützt nicht das (dauerhafte) Ausblenden meiner ungeliebten Seiten und die Fixierung auf tolle oder unrealistische Aspekte von mir.
→ Dies sind eher Zeichen einer gestörten, verrückten, verwirrten, unterdrückten oder (narzisstisch) verletzten Selbstakzeptanz.
Selbstliebe ist folglich nicht…
- Ich, ich, ich… bin der Mittelpunkt der Welt… ist keine echte Selbstliebe!…Kritiksucht und Rechthaberei, Wichtigtuerei, Eitelkeit, Geltungssucht, Überheblichkeit, Arroganz, Grandiosität oder Größenwahn
- …sich ausschließlich um sich selbst drehen, auf den eigenen Vorteil zu achten und die Belange anderer Wesen sowie eine wohlwollende Beziehung zu ihnen außen vor zu lassen
- …das Fehlen von Wärme, Herzlichkeit und verbindendem Mitgefühl für andere Wesen oder das Abwerten, Missachten und Verletzen der Bedürfnisse anderer
- …nur für andere und deren Bedürfnisse oder Forderungen da sein und meine eigenen Bedürfnisse und Werte dabei zu vergessen, verdrängen, missachten. Also meine körperlichen wie psychischen Kräfte ausbeuten und mehr von mir geben als ich eigentlich geben kann, ohne körperlich und / oder psychisch krank zu werden
SelbstausbeutungStichwörter bzw. Diagnosebegriffe für diesen unförderlichen Prozess könnten beispielsweise „vegetative Dystonie“, „Helfersyndrom / Selbstaufopferung“, „Depression / depressive Erschöpfung“, „stressbedingte Ermüdung“, „Erschöpfungssyndrom“ oder „Burnout“ usw. heißen!
- …auf den „inneren Kritiker“ zu hören und mich mit seinem unrealistischen Perfektionsanspruch oder überhöhtem Ideal unter Druck zu setzten und zu kritisieren
Der innere Kritiker & Zensor„Ich muss gut, richtig und perfekt sein, darf keine Fehler machen“… ist Kompensation fehlender Selbstliebe! Der unzufriedene, nörgelnde „innere Kritiker“ ist – psychologisch gesehen [d.h. man kann´s auch anders sehen, spirituell etwa] – ein Überbleibsel aus der Kindheit, z.B. unbewusst übernommene, negative geistige Haltungen und Glaubenssätze der kritisierenden, abwertenden und meist selbst innerlich verletzten Bezugspersonen, um deren Anerkennung, Wertschätzung, Lob, Wohlwollen und „Liebe“ zu erhalten!
Mangel an Selbstliebe – Mögliche Ursachen
Die Fähigkeit, mitfühlend mit mir zu sein, gut für mich zu sorgen, mich selbst zu lieben und anzunehmen, wie ich bin wird geschwächt oder blockiert durch das Zusammenspiel einiger grundlegender Faktoren:
- Der Verlust des Sinn und Halt gebenden, religiösen bzw. spirituellen Glaubens oder (für Atheisten / Materialisten) der Verlust des Urvertrauens an das Gute, Positive, Ganze und Heile in mir:
→ Dies erzeugt in der Folge oft tief verborgene Schuldgefühle und Lebensängste, die kompensiert, rationalisiert, unterdrückt oder verdrängt bzw. nach außen projiziert werden. Die Kompensation durch übermäßigen materiellen Konsum (Kaufsucht) und Statussymbole (Protzsucht) ist aus meiner Sicht eine der gängigsten Ablenkungen von diesem tiefsitzenden Schmerz. Schmerzmittel, Psychopharmaka und diverse Süchte tun das ihrige dazu. - (Nicht verheilte) emotionale Wunden:
→ Seelische Verletzungen / Traumata, tiefgehende Kränkungen, Abwertungen und Frustrationen, Gewalt- und Missbrauchserfahrungen usw., welche das Urvertrauen massiv erschüttern können, auf dem Selbstliebe und Selbstwert aufbaut. Verdrängung der Wunde, aufkommende Schuldgefühle, Selbstverurteilung und emotionaler Rückzug – „Mauer ums verletzte Herz“ – verstärken den unförderlichen Prozess. - Wichtige seelische Grundbedürfnisse blieben – vor allem in der frühen Kindheit – mehr oder weniger unerfüllt:
→ Beispielsweise Erfahrung von Urvertrauen und einem Gefühl von natürlichem Existenzrecht, Sicherheit / Schutz der eigenen Person, Integrität und Menschenwürde, Achtung / Respekt, Stabilität / Verlässlichkeit, Geborgenheit, Zugehörigkeit, Verständnis, Mitgefühl, Angenommen sein, Zuneigung, genug Freiraum zur persönlichen Entfaltung und Selbstverwirklichung usw. - Unförderlicher Umgang mit meinen eigenen negativen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen:
→ Nicht denken und fühlen wollen: Leugnung, Verdrängung, Unterdrückung negativer, schmerzhafter Gedanken und Gefühle. Was verdrängt oder unterdrückt wird, ist aber nicht einfach weg, sondern „gärt“ – jetzt unbewusst – im Untergrund weiter vor sich hin! Hier wird es sehr wichtig den eigenen „Geist in die Hand zu nehmen“ und langfristig auf einen förderlichen Weg der wohlwollenden Selbsterkenntnis zu führen!Mental-TechnikenVorsicht vor reinen Mentaltechniken wie Positivem Denken bzw. Positive Affirmationen wie z.B. „Ich liebe mich!“ oder „Ich bin ein liebenswürdiger Mensch und verdiene nur Gutes“. Wenn ich innerlich nicht wirklich daran glaube, werden ich mich danach eher schlechter als besser fühlen. Eben weil es nicht meinem in vielen Jahren gewachsenen (negativem) Selbst-Konzept entspricht und Scheitern vorprogrammiert ist! Der „innere Kritiker“ wird meinen gutgemeinten Versuch sabotieren und ins Gegenteil drehen! - „Negativer Autopilot“ – sich ständig wiederholende, unbewusste, auf Trigger anspringende negative Gedanken- und Handlungsmuster:
→ Im Erinnerungsspeicher unseres wertenden Geistes werden alle gemachten Erfahrungen als positiv oder negativ gefärbte „Empfindungs-, Gefühls- und Gedankendateien“ abgelegt und durch bestimmte Erlebnisse im Alltag reaktiviert. Die negativen Dateien könnte man auch autonome Schad- oder Virenprogramme, negative Glaubenssätze, Abwehr gegen Heilung / Heilungswiderstände oder Autoaggressions- / Selbstsabotageprogramme nennen. Unser „innerer Kritiker & Zensor“ benutzt diese gegen uns!Kampf gegen Windmühlen→ Und die Krux ist: Die destruktiven Muster verdichten und verfestigen sich immer weiter, je mehr wir willentlich gegen sie ankämpfen und sie eliminieren wollen. Und je mehr wir kämpfen und umso aussichtsloser wir diesen Kampf erleben, umso mehr untergraben und deprimieren wir die mehr oder weniger vorhandene Selbstliebe. Im Extremfall bis zur Selbstaufgabe.
Wenn die Störung der Selbstakzeptanz bis in den Körper reicht

plus belebender Spirit!
Mangelnde Selbstakzeptanz, Selbstabwertung oder gar Selbstablehnung kann über die enge Verknüpfung von Denken / Werten / Interpretieren, Fühlen und sensorischem Empfinden nicht selten auch körperlich-funktionelle oder psychosomatische Störungen auslösen.
Diese Beschwerden werden vor allem über Fehlregulierungen des vegetativen Nervensystems, des Hormonsystems sowie des Immunsystems vermittelt. Diese drei großen, den gesamten Körper durchziehenden Regulationssysteme sind in bestimmten Großhirnzentren miteinander verschaltet und stehen in enger Verbindung mit denkend-wertender Wahrnehmung, den Gefühlen als Färbung dieser Wahrnehmung sowie unserem Erinnerungsspeicher. Jeder positiven wie negativen Wahrnehmung folgt eine Anpassung bzw. Veränderung in der körpereigenen Regulation der Organfunktionen und des Stoffwechsels.
Um ein noch umfassenderes Verständnis dafür zu bekommen, was „mich selbst lieben und annehmen wie ich bin“ ausmacht und was nicht, möchte ich im folgenden Artikel einige grundlegende Aspekte davon näher beleuchten.
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Sehr gut und verständlich erklärt. Wirkte auf mich gleich sehr beruhigend.
Hallo Daniela! Freut mich, dass ich Sie berühren konnte. LG
Hallo Herr Wolf, ein herzliches Dankeschön für ihre Homepage. Ich habe endlich die Ursachen meiner fehlenden Selbstliebe gefunden. Jetzt kann ich gezielter damit umgehen und meinen Kinder hoffentlich den richtigen Weg zeigen. Viele Grüße
„Ein Mann (oder auch eine Frau) von liebender Güte handelt mit seiner Seele auf eine sich lohnende Weise. Aber der Grausame bringt seinen eigenen Organismus in Verruf.“ (Das findet sich im Kapitel 11 im Vers 17, Bibelbuch der Sprüche)
Danke für Ihr Zitat, Frau Sowe. Es bringt wunderbar zum Ausdruck, dass eine selbstliebende = mit sich selbst wohlwollende Lebensweise im Sinne eines seelischen und körperlichen Wesens ist.