Vier Charaktertypen nach Riemann – Stärken und Schwächen

Über vier verschiedene Arten des In-der-Welt-Seins und Welterlebens

Ein Post-It als Symbol, auf dem geschrieben steht: "Wer bin ich?" Was sind meine Grundformen der Angst, was meine Sehnsüchte, meine Stärken und Schwächen?
Wer bin ich als Mensch? Wo sind meine Schwerpunkte, was meine Schwächen und Stärken? Wo besteht Entwicklungsbedarf?

Wer bin ich in Bezug auf geprägte Persönlichkeit und Charakter? Welcher Art sind meine „positiven“ wie „negativen“ Kräfte, Stärken und Schwächen? Welche Grundformen der Angst prägen mein Empfinden, Fühlen und Denken? In welchen Spannungsfeldern bewege ich mich im weltlichen Leben? Was konditioniert Verstand und Vernunft und verzerrt die Wahrnehmung oft einseitig? Wo liegt diese Einseitigkeit? Und wie kann ich achtsam und selbstfürsorglich Ausgleichsbewegungen erzeugen? Welche Sehnsucht treibt mich an? Fragen über Fragen!

Kurze Vorab-Info zu Fritz Riemann

Grundlage meiner beiden Artikel – hier Teil 1, dort Teil 2 – über die „Grundformen der Angst“ und die vier daraus abgeleiteten Blickwinkel menschlicher Wahrnehmung ist die Arbeit des 1974 verstorbenen Psychologen Fritz Riemann. Er war Mitbegründer der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München sowie Ehrenmitgliedschaft der New Yorker „American Academy of Psychoanalysis“. Sein Hauptwerk „Grundformen der Angst – Eine tiefenpsychologische Studie“ (Quelle 5) wurde erstmals 1961 veröffentlicht und ist auch heute nach wie vor aktuell.

Weiterhin verwende ich Aspekte des Managementberaters Prof. Dr. Hans Jung sowie des Arztes für Naturheilverfahren Dr. Reimar Banis. Ich bringe zusätzlich meine eigenen Lebens- und Praxiserfahrungen als Mensch, Heilpraktiker, Homöopath und spiritueller Lebensberater ein. Dabei erhebe ich weder den Anspruch der Vollständigkeit noch der absoluten Richtigkeit oder gar Wahrheit noch der intellektuellen wissenschaftlichen Beweisführung!

Vier Grundformen der Angst: Vier Tendenzen in zwei Spannungsfeldern

Kräftespiel in dynamischen Spannungsfeldern, keine fixe, starre, dogmatische Typologie!
Es geht mir hier v.a. um das Veranschaulichen von vier Tendenzen (basierend auf den vier Grundformen der Angst), Kräften, Polen, Persönlichkeits-Schwerpunkten bzw. Konditionierungen und zwei grundlegenden Spannungsfeldern, durch die wir Menschen uns bewegen. Diese sind sinnlich-empfindend, emotional und mental erfahrbar und durchdringen unser gesamtes Leben. Riemanns Abhandlung ist eher eine Art „Verständnis-Tool“ anstatt einer fixen, starren, statischen Typologie nach dem Motto „so ein Typ ist dieser Mensch, und das wird immer so bleiben“. Nein, jeder Mensch ist einmalig, wandlungsfähig und daher immer „work in progress“! Bleiben Sie also neugierig, wohlwollend, flexibel und spielerisch mit dieser „Ein-Ordnung“! Eine isolierte Reinform dieser Kräfte kommt in der Realität – außer vielleicht im zutiefst pathologischen Sinne – nicht vor. Riemann betont, dass alle vier Pole wichtig und nützlich sein können für jeweils verschiedene Lebenssituationen. Es geht hier also nicht um gut oder schlecht, richtig oder falsch!

Hier schon mal ein kurzer Überblick (im 2. Teil als pdf-Download ausführlicher):

  • Typ nach Riemann, pathologischer Name:
Schizoider Typ
Depressiver Typ
Zwanghafter Typ
Hysterischer Typ
  • Charakter in der positiven Bezeichnung und gesunden Ausprägung:
Der Distanzierte, Kritische und Unabhängigkeit liebende Der Fürsorgliche, Mitfühlende, Soziale und Nähe liebende Der Beherrschte, Beständige, Struktur und Ordnung liebende Der Ungezwungene, Flexible, Lebenslustige, und Freiheit liebende
  • Prägende Grundangst:
Vor emotionaler Nähe, Hingabe, Abhängigkeit und Ich-Verlust Vor Distanz, Verlust emotionaler Verbindung und Ich-Werdung Vor Veränderung, Wandlung, Neuerungen, Unordnung und Chaos Vor Festlegung, Verlust seiner Freiheit, Unlebendigkeit und Erstarrung
  • Geheime Sehnsucht & heilsamer Ausgleich:
Vertrauen, Anteilnahme, liebende Wärme und Geborgenheit  Durchsetzen und Leben eigener Bedürfnisse, Nein sagen lernen Heitere Lebendigkeit, Humor, Lockerheit und Ungezwungenheit Stabilität, Beständigkeit, Verlässlichkeit und Klarheit bzw. Focus

Zum tieferen Verständnis der im zweiten Teil des Artikels folgenden Übersicht (s. Download-Link dort ganz unten) ist es von Vorteil, wenn Sie das Buch von Fritz Riemann, „Grundformen der Angst“ bereits gelesen haben, da dies die Basis des Ganzen bildet! Ergänzend, v. a. im Hinblick auf die Anwendung für Führungskräfte in der Arbeitswelt, siehe auch „Persönlichkeitstypologie“ von Prof. Dr. Hans Jung.

Zur Psychologisierung unserer Gesellschaft

Psychologie ist wie ein Küchenmesser. Sie kann den Geist nähren oder zerstören!
Die zunehmende „Psychologisierung“ unserer Gesellschaft ist ein zweischneidiges Schwert. Wir können das psychologische Wissen – auf der subjektiven Basis unserer Konditionierungen, intellektuellen Glaubenssätze, Moralvorstellungen wie erworbenen Reaktionsmustern und Automatismen – einsetzen, um uns selbst und anderen zu schaden oder wohlwollend zu begegnen.

Psycho-Wissen allein schützt nicht vor Egoismus & Ignoranz. Hier hilft nur Sanftmut und Weisheit durch annehmende Erfahrung.

Es ist unsere Wahl: Wir können psychologisches Know-how zum Theoretisieren, Recht haben, Abwerten, Verurteilen und Diffamieren verwenden. Und zu Nudging, Framing, Narrativ-Gestaltung, Propaganda (= PR oder Öffentlichkeitsarbeit), Manipulation, Fremdbestimmung und Machtmissbrauch einsetzen.

Oder eben zur Förderung einer klaren wie mitfühlenden inneren Geisteshaltung im Sinne eines „heiler, wahrhaftiger und ganzer Werdens“. Wir können eine Seelenlehre wohlwollend verwenden zum bewussten Ausgleich von unförderlichen Einseitigkeiten in unserem Welt- und Glaubensbild, zum liebevollen Umgang mit Schmerz, Leid und Unglücklich sein wie zur Beförderung von Vertrauen, Sanftmut, Glück, Freude, stiller Gelassenheit und innerem Frieden.

Wozu kann uns diese „Charakterkunde“ – basierend auf den Grundformen der Angst – dienen?

Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebnis, dass immer wieder kommt! [Friedrich Nietzsche]
Ein umfassenderes Verständnis des Mensch seins allgemein zu erlangen, ein einfaches und praktikables Instrument zur Selbsteinschätzung sowie zur Einschätzung von Entwicklungspotenzialen und Ressourcen bei anderen an die Hand zu bekommen ist für mich Ziel und Zweck dieses Unterfangens.

Weiterhin geht es mir um die Sichtbarwerdung von grundlegenden polaren Kräften und Spannungsfeldern sowie der mentalen Narrative, Konditionierungen und Konzepte, welche unsere „Für-Wahr-Nehmung“ leiten, einfärben und verzerren.

Die innewohnende Weisheit der Riemann´schen Betrachtung in „Grundformen der Angst“ fördert – undogmatisch in den Alltag integriert – unter anderem…
Man hat die Lehre von den „Temperamenten“: Jeder Mensch trägt alle vier Temperamente in sich, nur in verschiedenen Mischungsverhältnissen! [frei nach Johann Wolfgang von Goethe]

  • Unsere wahrnehmungssteuernden Ängste besser zu fassen, sie letztlich annehmen zu lernen und daran zu geistig reifen
  • Selbst-Bewusstsein: Schwächen & Handicaps und Stärken & Ressourcen sowie darin liegende Entwicklungspotenziale achtsamer wahrzunehmen und Einseitigkeiten auszugleichen
  • Gesunde Distanz zu den „Dingen“ zu entwickeln, sich besser abzugrenzen von unförderlichen Einflüssen bzw. innere Strategien des förderlichen Umgangs zu entwickeln und auszuprobieren
  • Selbstliebe bzw. eine liebevolle Selbstannahme und Selbstfürsorge zu entwickeln. Eigene Bedürfnisse und Werte besser erkennen und leben zu lernen („liebevolle“ Durchsetzung) sowie mitmenschliche Bedürfnisse und Verhaltensweisen kennen und tolerieren zu lernen (Mitgefühl bzw. Empathie für andere)
  • Sich gesunde Ordnungen, förderlichere Rituale und achtsame wie selbstfürsorgliche Denk- und Verhaltens-Strukturen für eigene Entwicklungsprozesse aufzubauen sowie diese konsequent einübend in den Alltag zu integrieren.
  • Mehr in spielerischen Humor, Spontanität und kreative Freiräume zu investieren (→ siehe hierzu z.B. Was ist Lachyoga?).
  • Erkennen und akzeptieren, dass Leben ein dynamischer Wandlungsprozess ist und dass daher eine statische Mitte, ein fixes Ideal, eine dauerhafte Perfektion unrealistisch und leidbringend ist.

Ein paar Beispiele hierzu:

Charakter ist nichts anderes als eine langwierige Gewohnheit. [Plutarch]
So kann die Kenntnis über die Riemann´schen „Typen“ hilfreich sein beispielsweise in Ehe, Partnerschaft, Beruf oder in der seelisch-geistigen Entwicklung.

Beispielsweise können Arbeitgeber ihre Angestellten effektiver einsetzen, wenn sie wissen, wo deren Persönlichkeitsschwerpunkt liegt, der sie für manche Tätigkeiten mehr befähigt und für andere weniger. Partner könnten mehr Humor, Empathie und Verständnis für ihre Andersartigkeiten entwickeln und sich so besser aufeinander abstimmen.

Unser Leben ist ein spannendes, oft auch anspannendes, anstrengendes und leidvolles Wechselspiel mit Nähe-/Distanz- und Ordnungs-/Wandlungs-Kräften.
Für an Selbsterfahrung Interessierte erhellen sich bisher unbewusste Aspekte des eigenen oder mitmenschlichen Verhaltens. Menschen, die gerne etwas ausgeglichener wären, können über die Bestimmung ihres grundlegenden Charakters und der Verteilung der anderen drei Anteile einen bewussteren Ausgleich vornehmen. Hier lässt sich über ein Persönlichkeitsprofil und ein persönliches Beratungsgespräch annähernd bestimmen, welche Anteile wie stark entwickelt oder eben entwicklungsbedürftig sind.

Es sei nochmals erwähnt: Bitte seien Sie mit dieser „Charakterkunde“ nicht zu abstrakt-theoretisch und statisch. Immer den Bezug zum praktischen und alltäglichen Leben finden!


©2014, aktualisiert 07.07.25 • Heilpraktiker Dieter Wolf • Infos zu integrativer Medizin, Psychologie, Psychosomatik (Mind-Body-Medizin), Komplementär- / Alternativmedizin (z.B. Klassische Homöopathie), Achtsamkeit, Meditation, Philosophie, Spiritualität / „Ein Kurs in Wundern“, Soziologie, Gesellschaftskritisches und mehr…

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Gaither

    Danke… Bin ein Typ zwischen depressiv und hysterisch….brauche Menschen um mich, aber komme gut zurecht mit meinem „Blues“. Gut, wenn man sich selber erkennt und versteht! Gruß, Verena

  2. Heidi

    Das Beste was ich bisher je zu dieser Thematik habe finden können. Super beschrieben das Ganze und umfangreich erläutert. Danke für die genauen Ausführungen.

    1. Dieter Wolf

      Hallo Heidi! Danke für die Blumen und alles Gute…

  3. Helene

    Hallo Herr Wolf, vielen Dank für Ihre sehr informative Website bzw. Ihre überaus kompetenten Beiträge/Blogartikel ! Ich wünschte nicht so weit von München entfernt zu wohnen, so dass ich in ihre Praxis kommen könnte. Doch wie gesagt durch ihre Artikel ist mir doch manches bewusster geworden und werde meine Gesundung/Heilung hier weiterhin verfolgen und voranbringen. Lieben Gruß aus Aachen

    1. Dieter Wolf

      Hallo Helene! Freut mich, dass meine Ausführungen Ihnen weiterhelfen konnten. Alles Gute für Ihren Entwicklungsweg! LG

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